Erster Akt…
Das Jahr plätscherte so dahin, der Abstand zum letzten Urlaub in Dubai wurde zunehmend größer und schon bald merkte ich Anzeichen von Erschöpfung, die ich sonst so nicht wahrnahm. Das ganze Getöse der Welt hatte daran sicherlich eine gewisse Mitschuld und so wuchs in mir langsam aber stetig der Wunsch nach Ruhe und Geborgenheit. Lange brauchte es einen Termin zu bekommen und so beschlich mich bereits früh der Gedanke nicht der Einzige zu sein, dem es an Ruhe fehlt.
Heute ist es nun endlich soweit. Wir schreiben Anfang August und der Wunsch herauszukommen aus all dem täglichen Stress hatte Höchstform angenommen. Nur noch schnell einmal durchs Haus, ein kurzer Rundblick zur Sicherheit. Alle Fenster zu, der Hund versorgt und ach ja der Keller.
Rums, der Keller, als ich dort nichts ahnend kurz inne hielt, hörte ich ein Ploppen und dann noch eines und wieder eines. Mir schwante nichts gutes und richtig, plötzlich merkte ich, dass mein rechter Fuß auf einem nassen Teppich parkte. Irgendwas war undicht und bevor mich noch der Verstand alles abblasen ließ, schrie die Vernunft, hey dreh einfach den Hahn rabiat zu, hole ein paar Handtücher und hau endlich ab. Das hat Zeit bis nächste Woche.
Etwas unwohl war mir schon als ich mich viertel nach Zehn aus dem Haus schlich, wo mich meine liebe Nachbarin Gabi bereits erwartete. Sie hatte von meinem Kurztrip gehört und mir sofort ihre Fahrdienste angeboten.
Es dauerte grade mal 15 Minuten als wir ins Münstertal einbogen, nun noch mal 10 Minuten hinein und da lag es vor uns. Fast am Ende des Tales weithin sichtbar und von Südwesten her gekrönt von drei Jahrhunderte alten Eichen.
Ich hatte noch etwas Zeit und da standen wir nun vor dem Haus Sankt Josef und plauderten wie zwei Teenager von alten Zeiten, Gott und der Welt.
Die Stufen der kleinen Treppe zum eisernen Tor herauf begleiteten mich Zweifel. Zweifel ob das Wasser zu Hause zur Ruhe gekommen ist und Zweifel ob Marina meine Hals über Kopf Reparatur verstehen und würdigen würde. Aber mehr ging nunmal nicht, Gabi im Nacken, den Termin unverschiebbar vor Augen. Die Türe war angemessen Klosterlastig und verschlossen, so lud mich eine dieser neumodischen Klingelanlagen dazu ein, sie zu benutzen. Ein freundliches grüß Gott war das erste, das mir entgegen kam und irgendwie war genau das ja auch mein Ziel. Raus aus all dem bekloppten Miteinander, weg von all den stumpfen Streitigkeiten hin zu Verständnis und Liebe für die Menschen.
Ja, Menschlichkeit, jene hier zu finden war das Ziel und am Ende genug davon mitnehmen und damit um sich werfen.
Zahlen sie mit Karte, oder Bar?
Bar, wollen wir das gleich erledigen?
Oh nein, lassen Sie uns erst etwas für Sie tun, dann können sie immer noch bezahlen!
Ein Gedanke, der mir gefiel.
So schlenderte die nette Nonne vom Empfang vor mir her und zeigte mir den Raum zum gemeinschaftlichen Speisen und den Fahrstuhl, welcher mich sicher zum ersten Stock und zu meinem Zimmer bringen sollte. Die Telefonanlage klingelte derweil bereits eine Weile und so verabschiedete sie sich bei mir, setzte ihren leicht wippenden Gang zur Rezeption fort und trällerte dabei irgendeinen Psalm der dem anrufenden wohl sagen sollte, Geduld mein lieber, alles braucht seine Zeit.
Da stand ich nun mit meiner fast exotisch bunten Reisetasche und steckte den mir überreichten Schlüssel in das Schloss 214.
Sofort merkte ich die Frische im Raum, das Fenster war weit geöffnet und das Licht durchflutete das schmale Zimmer mit gleißendem Schein. Die weißen Wände waren hervorstechend und an ihnen machte sich nur der Sohn Gottes und das goldene Abbild einer heiligen Figur breit. Das Bett war liebevoll gemacht und das Kopfkissen auf eine Ecke gestellt. In dem kleinen Flur des Zimmers befand sich ein kleiner offener, sowie ein großer geschlossener Schrank. Rechts ging es ins Bad und zum WC und einen Schritt weiter stand man schon fast mitten im Zimmer. Links an der Wand zierte ein Schreibtisch mit einem Telefon, in der Ecke dahinter ein breiter Sessel und ein kleiner runder Tisch. In der Mitte dann das Fenster in einem kleinen Dach-Erker und rechts das schmale Bett. Ausreichend, wirklich ausreichend und auch der Blick aus dem Fenster ein Traum.
Das Münstertal ist eh sehr schön, wir sind oft und gerne dort. Es erinnert etwas an Tirol, nur die ganz hohen Felsen, jene zerklüfteten, die fehlen natürlich schon. Aber ansonsten steht es dem nichts nach. Die Häuser, die Blumen, die leicht hügelige Landschaft, alles wie in Tirol.
Ganz gemach stellte ich meine bunte Reisetasche auf den kleinen Tisch und machte mich daran meine Habseligkeiten in den dafür vorgesehenen Schrank zu räumen. Die Tasche war schwerer als erwartet und das obwohl ich sehr sparsam beim einräumen war. Alles an Hightech war daheim geblieben und so begleitete mich einzig mein Miniatur Nokia Handy, nur Handy!
Dieses begleitete mich stets wenn ich mal wieder raus musste, denn mein Drang mal herunter zu fahren hängt ja nicht mit Marina zusammen. Darum ist es mir auch in Phasen wie diesen wichtig den Austausch mit meiner Liebsten zu pflegen. Zwar reduziert aber dafür auch sehr liebevoll.
Die Rindviecher, welche unter meinem Fenster grasten hatten sich alle versammelt und begrüßten mich mit ihren schnaufend, schmatzenden Geräuschen. Sie ließen ihre langen Zungen über das Gras rutschen und bissen im rechten Moment herzhaft hinein. Wie mir später bewusst wurde, tun sie dies von früh bis spät und halten nicht einmal inne, wenn sie was vorne bereits verarbeitet wurde, hinten wieder herauslassen.
Das nenn ich mal echte Gelassenheit, da will ich hin!
Aber um Gelassenheit zu erlangen ist es ein weiter Weg und daher heißen meine 3 Teile auch „göttliche Komödie“. Dante beschrieb seinerzeit den Gang durch die Hölle. Immer tiefer wurden all die Abgründe derer er sich stellen musste. Mit immer mehr unwegsamen Gedanken musste er sich auseinandersetzen und oft drohte er daran zu zerbrechen. Erst wer auf Vergebung hoffen durfte landete dann im Fegefeuer. Dort wartend erfuhr man Läuterung und Wandlung und wurde vorbereitet auf den Aufstieg. Die Seelen derer, die für ihre Sünden noch Vergebung erlangen konnten, durften auf einem spiralförmigen Weg durch sieben Bußbezirke zum irdischen Paradies, dem Garten Eden auf dem Gipfel des Berges, pilgern. Aus dem irdischen steigt der Reisende schließlich auf in das himmlische Paradies mit seinen neun Himmelssphären, über denen im Empyreum, also im Wohnort der Seelen, die Seelen der Geretteten im Angesicht Gottes die Freuden der ewigen Seligkeit genießen dürfen.
Ich schaue mich noch einmal um bevor ich das Zimmer verlasse. Alles sieht ordentlich und aufgeräumt aus. Nichts macht den Anschein einer hottentotten Höhle und so fühle ich mich bestärkt in meinem Glauben, alles wird gut.
Man bittet um Pünktlichkeit beim Essen fassen, denn es wird von Angestellten serviert und Angestellte kosten nun mal. Also stehe ich bereits eine Minute vor 12 auf der Matte und öffne die Türe zum Speisesaal. Ein herrlicher Geruch strömt mir entgegen und ich trete ein in mein Leben auf Zeit in die Klösterliche Gemeinschaft. Bonjour ruft mir eine 12 köpfige Gruppe gemeinschaftlich zu und ich antworte spontan und leicht grinsend mit einem gekonnten Bonjour zurück. So laufe ich denn die Tischreihen ab und finde schon bald einen kleinen Papp-Tischaufsteller mit der Aufschrift:
„Ein herzliches Grüß Gott Herr Krupatz“. All das erinnert mich an früher, diverse hatte ich davon schon gesehen. In all den Sitzungen, an all den Orten wo man eine Akkreditierung brauchte und das Schild selbst irgendwie an die Osterbräuche meiner Mutter.
Es gab erst einmal einen Salat der sich in ausreichender Form bereits in meiner Schüssel auf dem Tisch befand und nur von mir in die kleine Glasschale abgefüllt werden wollte. Das Besteck war von der Anordnung ein guter Bote des gesamten Menüs und tatsächlich gab es jedesmal einen Salat, eine Suppe, einen Hauptgang und ein Dessert. Während ich mich noch im Raum umsah, machte bereits das Kräutersüppchen in einem kleinen Suppentopf den Weg zu mir.
Wohl bekomm´s Herr Krupatz, oh danke sagte ich noch und roch bereitwillig jetzt schon, dass mir diese gut schmecken würde. Ein Gedicht, traumhaft und doch wahr. Alles aus eigenem Anbau, wie mir nur wenig später beim Gang durch die gewaltige Kloster Anlage klar wurde.
Auf allen Tischen befanden sich diese kleinen Kärtchen, so wurde jedem sein Platz zu Teil und so fand jeder seinen Weg zu Gottes Gaben. Ein älteres Ehepaar setzte sich an den Nebentisch und grüßte mich freundlich. Nun ich denke sie müssen etwa um die 75 sein, er hat leichte Probleme beim Hören, aber dafür hat er ja noch Sie dabei.
Ich nehme auch das Fleisch, aber ohne den Kartoffelsalat. Das ist Fisch! Ja, ja aber mein Fleisch ohne bitte, nur Fleisch, das reicht mir aus.
Ich muss lachen, also so gut wie es geht innerlich halt und sehe in ihren Augen, dass auch sie schmunzeln muss. Was noch folgt ist der Nachtisch, mein Gott wieder lecker und wieder erinnert es mich an früher, Omas Pudding und diese geile Soße dadrüber. Ich verabschiede mich, leise, höflich mit den Worten, eine gute Zeit und selbst der Franzose antwortet mit Danke auch für Sie.
Ich weiß nicht woran es liegt aber irgendwie fühlt man sich geborgen, alles ist im Fluss, ruhig scheint man auf einer Welle durch die Landschaft zu segeln und nichts, aber auch gar nichts kann einen aus der Ruhe bringen. Es ist noch Zeit bis zum Kaffee und so beschließe ich mich einfach rücklings auf mein Bett zu legen um dort ein wenig Ballast abzuwerfen. Das Fenster im ersten Stock ist weit geöffnet. Draußen nieselt es noch leicht, erst ab morgen soll das Wetter wieder umschlagen und besser werden. In den Wäldern ringsherum steigt der Nebel empor und ich bemerke bereits die eine oder andere blaue Stelle am Firmament.
Ich liege auf dem Rücken, habe mir nur schnell die Schuhe abgestreift und meine Augen sind geschlossen. Nichts soll mich ablenken, nichts erschrecken und nichts anziehen. Ich höre meinen Herzschlag und meinen Atem, ich höre das Rindvieh auf der Almwiese und den Hahn der aus der Ferne kräht. Ich weiß nicht wie lange ich diesen Moment so genossen habe, werde jedoch aus meiner schlaftrunkenen Stille geweckt als die Glocke der Klosterkirche 15 Uhr verkündet. Der Wind hat aufgefrischt und so finde ich mich immer noch auf dem Rücken liegend jedoch leicht fröstelnd und müde wieder. Ich denke an den Kaffee und merke doch einen anderen Geruch in mir aufgesaugt zu haben. Es riecht herrlich erdig und wieder klopfen Erinnerungen an meine Tür. Die Tiroler Almen, dort findest du diesen Geruch ebenfalls. Oft habe ich zu später Stunde auf ihnen gesessen und der Sonne beim gehen zugeschaut und dieser Moment, der so unglaublich an die Seele geht, dieser Moment ist es, der mir jetzt grade in den Augen steht. Tränen sind Momente der Befreiung und sich dagegen zu wehren wäre der allergrößte Blödsinn. Schließlich will ich ja wo ankommen und ankommen kann nur, wer seinen Weg geht, egal ob er grade steinig oder leicht zu begehen ist.
Nun bin ich plötzlich angekommen im Haus Sankt Josef und bereite mich auf die Kaffee Zeit vor. Es hat fast schon einen tiefsinnigen Hintergrund, wenn man bedenkt, dass ich im Josefkrankenhaus vor fast auf den Tag genau 60 Jahren, das Licht der Welt erblickte…
Fortsetzung Teil 2 & 3 folgt schon bald….
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Foto/Text © JK 08/2016