2. Akt
Nun wie gesagt mit Körper und Geist ankommen und wenn die Dinge optimal verlaufen mit ihnen zusammen eine Einheit bilden, das wäre das Ziel. Vieles sprach dafür es hier zu finden, denn die Ruhe hatte mich in ihren Bann gezogen.
Alles hier strahlt Ruhe aus, selbst all die hektischen Besucher, jene, die das Schild privat ignorieren und meinen sich alles vereinnahmen zu müssen.
Plötzlich muss ich an Wiebke denken, eine liebe Freundin von mir, die hätte sicherlich einen grandiosen Kommentar dazu auf der Feder.
Ich ging zurück, also wieder hinunter zum Esssaal, ja, ich ging, denn es schien mir müßig den alten Fahrstuhl zu belasten um einen Stock hinabzufedern.
Der Kaffee begrüßte mich wie das Mittagssüppchen gehaltvoll schwebte er in der Luft. 2 Tassen sollten es werden und am Ende versenkte ich sogar ein Stück vom feinsten Käsekuchen in meinem Bauch. So geht das aber nicht all die Tage weiter dachte ich bei mir und beschloss nach dem Kaffee, bei zunehmend blauerem Himmel den großen Garten zu erkunden.
Groß war er aber auch großartig. Blumen über Blumen, Gerüche von Wildkräutern und Gemüse und alles wie von Monet gemalt, herrlich, einfach herrlich.
Ich ging über die immer noch feuchte Wiese zum Südwestportal des Klosters. Hier zierte die das Kloster umgebende Mauer mit den 3 großen Eichen das Anwesen. Wie ein Schutz standen sie gegen den Wind und der Klang der Blätter, die sich im Wind schüttelten war berauschend. Ich hatte das Gefühl als würde mich wer in den Arm nehmen und behutsam wiegen um mich vor all den Kriegen dieser Welt in Schutz zu nehmen.
Rechts und links säumten einige Nonnen meinen Kreis und ich spürte plötzlich auch Fragen an sie zu haben. Also nahm ich mir fest vor mich diesen im Laufe der Tage hier auch zu stellen. Die Luft war klar und vom Regen duftend und so zog ich meine Kreise durch den Garten und vergaß dabei völlig die Zeit.
Ich ging noch schnell ins Kloster und setzte mich in eine der ersten Reihen. Eine Frau mittleren Alters fiel mir auf, sie schien zu beten und irgendwie erinnerte sie mich an meine Schwester Heike. Ohne Haare, mit einer Pudelmütze bedeckt saß sie dort und betete. Wie sehr konnte ich sie verstehen und wie sehr wünschte ich ihr, dass ihre Gebete erhört werden.
Aber so geht es vielen auf der Welt, egal ob Kriege oder Krankheiten und Leid, wir suchen in unserem Glauben Wege damit umzugehen beziehungsweise umgehen zu können. Die Frage ist letztlich immer was wir finden, oder empfinden, nicht alles wird uns befreien und nicht alles wird uns befriedigen.
Ich habe lange Zeit nicht damit umgehen können, dass meine Mutter so früh gestorben ist. Habe nach Lösungen gesucht und doch viele verworfen. Stur und engstirnig zog ich meine Kreise und merkte erst spät, dass es für sie vielleicht die Erlösung war.
Und so frage ich mich auch jetzt ab und zu, wo ist Gott und warum lässt er das alles zu. Mein Frieden heißt dann immer, sieh dich an lieber Jürgen, hält er nicht grade seine Hand über dich. Zum Schutz, oder warum auch immer, für ein wenig Weisheit eventuell, oder einfach nur weil er dir sagt ich habe auch dich lieb.
Nun gut, die Klosterkirche hält mich in ihrem Bann und die Uhr geht gegen 17 Uhr 30 und das bedeutet Zeit zum Abendbrot.
Der Tisch ist gedeckt und brav nehme ich an meinem Kärtchen Platz und grüße alle Franzosen dieser Gemeinschaft. Es gibt Pellkartoffeln und Quark, jedoch zwei mal warm essen tue ich meinem gewichtsreduziertem Körper nicht an.
Heute nicht…!
Also gehe ich auf die Alternative und finde jede Menge Käse, frisches Brot und eine ganze Kanne Tee für mich alleine. Ein paar Scheiben Melone dürfen es noch sein und dann ist aber Schluss.
Ich denke plötzlich, als ich die offene Bar des Klosters entdecke, gegen ein Gläschen Rotwein, zumal Spätburgunder, dürfte der liebe Gott nichts haben und nehme mir aus optischen Gründen noch eine Flasche Mineralwasser aus dem Schrank. Das Geld, welches man laut ausliegender Preisliste entrichten muss, legt man in eine bereitstehende Kasse und darf sich auch bei fehlendem Kleingeld am Wechselgeld bedienen.
So ziehe ich mich verabschiedend aus der Gruppe der Franzosen zurück und bemerke, dass auch die Frau aus Frankreich den Schlaftrunk schon eingekauft oder zumindest bereits im Visier hat.
Eigentlich ist es noch viel zu früh für mich ins Bett zu gehen, aber ich merke wie meine Beine immer träger werden und mein Kopf die gesammelten Eindrücke in Ruhe verarbeiten will.
So ergebe ich mich, gehe auf mein kleines Zimmer und öffne den Wein um mir ein Glas zu gönnen.
Das Fenster war den ganzen Tag weit offen und so hatte die lange Gardine hervorragend dafür gesorgt, dass die Fliegen und Mücken bei den Rindviechern blieben. Gott sei dank!
Der Wein war aus dem Kaiserstuhl und der Ort wo er einst gelesen wurde mir kein Unbekannter.
Nun lehnte ich mit meinem Glas am Fensterbrett und schaute der untergehenden Sonne dabei zu, wie sie hinter den zarten Baumwipfeln langsam verschwand. Die Rindviecher schmatzten immer noch und die Abendluft war herrlich einzuatmen.
Von meinem Platz konnte ich gut beobachten wie der schier endlos erscheinende Strom der Kloster Besucher den Rückzug antrat. Runter zum Bus auf dem großen Parkplatz unterhalb des Areals, oder aber ab in das eigene Gefährt.
Ruhe kehrte ein, jene himmlische Ruhe, von der man nicht genug haben kann. Alles ist plötzlich stimmig, der Geist lässt nach durcheinander zu denken, der schwere Körper ergibt sich einer schläfrigen Leichtigkeit und plötzlich ist er wieder da, jener Moment in der eine fallende Stecknadel bereits einen höllischen Lärm auslösen würde.
Der Wein wirkte bereits nach dem ersten Glas und so trennte ich mich vom Fenster, von den dunkler werdenden Bergen und von all den Rindviechern dieser Welt. Der kleine Bach, der das Münstertal von oben bis unten durchfloss rauschte leise im Hintergrund und einer meiner letzten Gedanken an diesem Tag war wohl:
…es ist ruhig geworden.
Wahrscheinlich bin ich sofort eingeschlafen. Kein Wunder, all die Eindrücke und auch die vielen bewegenden Momente und das schon am ersten Tag.
Neugierig auf den neuen Tag und seinen Inhalt, sprang ich unter die Dusche. Frisch ans Werk ging ich voller Tatendrang zum Frühstück und eröffnete die Gala mit einer liebreizenden Schweizerin, die wie von Geisterhand gesteuert plötzlich Mitbewohnerin auf meiner Tischkarte geworden war.
Ja Grüezi ein Berliner, nun ja nicht ganz. Während des Frühstücks hatten wir alle Zeit der Welt um diesen kleinen Irrtum aufzuklären und im Grunde genommen lag sie ja gar nicht so verkehrt. Sie war wirklich bezaubernd, mit dem Fahrrad da und mit den Geständnis nie wieder über all die Berge zu radeln, machte sie bei mir immer mehr Punkte.
Wir lachten und erzählten und dann lachten wir schon wieder und hätte uns das eigene auferlegte Programm nicht daran gehindert, dann hätten wir wohl nie aufgehört. Na gut, wer mich kennt, der kennt mich ja und die nette Schweizerin schien irgendwie so ein Pendant von mir zu sein.
Also nahmen wir brav Abschied und ein jeder ging, beziehungsweise radelte seiner Wege. Sie runter ins Rheintal Richtung Schweiz und ich per pedes Richtung Berg.
Ich hatte mir ein Kapuzenshirt übergestreift, bemerkte jedoch schnell die Wärme in mir aufsteigen. Also habe ich es mir ausgezogen und lief wie einer dieser Wandervögel das Ding um die Hüfte bindend weiter den Berg hinauf. Es war herrlich und an einer Waldlichtung erwartete mich zu meiner großen Freude eine Bank. Hier wollte ich ruhen und einfach den Blick schweifen lassen.
Von der Sonne verwöhnt schaute ich von oben herab ins Münstertal und obwohl ich es nicht mehr sehen konnte, hörte ich doch den viertelstündlichen Schlag der Münsteruhr.
Viele Dinge gingen mir durch den Schädel, hier wo ich an den Wiesen rasten durfte und wo die Welt so heil erschien. Die Schweizerin sagte einen mir sehr gefallenden Satz dazu, an den ich mich hier oben gerne erinnerte, wir müssen das alles wahrnehmen, all die Grausamkeiten dieser, unserer Welt, aber wir dürfen uns davon nicht abhalten lassen unser Leben zu leben. Wir dürfen uns nicht herunterziehen lassen, auch wenn noch so viele Grausamkeiten um uns herum geschehen.
Das erschien mir nicht nur logisch, nein am Ende sprach sie mir auch aus der Seele.
Es ist und war auch mir immer wichtig das Gute zu sehen und es für mich so gut es eben manchmal geht gangbar zu machen. Irgendwie dient dies doch auch als Selbstschutz, denn wenn wir nur noch im Sumpf der Grausamkeiten wandeln, was wäre dann wohl aus uns, aus mir geworden.
Am Ende wohl ein Häufchen Elend, das sich vor allem verstecken würde und so auch am Leben nicht mehr teilhaben könnte.
Mein Weg führt mich nun wieder zu den Franzosen und meinen Lieblingsrindviechern. Schmatzen werden sie was ihnen der liebe Gott vor die Mäuler pflanzte und so werde auch ich bald mein wohlverdientes Mittagsmahl zu mir nehmen. Bei aller Vorfreude muss ich an den Fisch denken, der Fleisch sein sollte und am Ende doch im Magen des Alten landete und das führte mich noch zu einem ganz anderen Gedanken, der plötzlich in mir aufkeimte.
Was passiert denn hier mit den Veganern und Vegetariern?
…und ich erwische mich dabei wie ich die Frage nicht grade „göttlich“, selbst beantworte:
„Ach ja, die kamen ja erst, als die Welt lange schon erschaffen war…“
😉 Vergelt´s Gott 😉
…Bei roter Bete und eingelegten Karotten, sowie einer Scheibe Rindfleisch mit Wurzelgemüse und einer Kren (Meerrettich) Soße genieße ich wiederum die Mittagszeit und auch die Freude auf den Pudding kann mir nichts und niemand wirklich nehmen.
Und so denke ich noch einmal zurück an die nette Schweizerin, mit der mein Tag bereits so wundervoll harmonisch begann. Denke zurück an ihre lieben und gescheiten Worte und gebe ihr vollkommen recht in ihrer Einschätzung:
Lieber Jürgen, jedesmal wenn ich hier her komme bin ich müde, abgespannt und matt, aber du wirst es sehen, schon nach 24 Stunden wirst du ein anderer Mensch sein. Du wirst es merken wie die Ausgeglichenheit zurück kommt, du wirst es merken wie sich das Grau in eine bunte Vielfalt verwandelt und du wirst die Liebe in dir spüren, die Liebe zu dir, zu den deinen, den wahren Freunden und all das wird dir wieder Raum geben zu atmen und zu leben….
.
Foto/Text JK ©08/2016