Von der Unberechenbarkeit der Zeit…

Ich bin mir heute oft gar nicht mehr so sicher seit wann, aber ich denke, es muss schon eine Ewigkeit her sein. Ich mag die Wintertage nicht. Na gut wenn die Sonne sich mal durchsetzt und genügend Schnee die Seele wärmt. Schnee der auf hohen Tannen die Wipfel emporsteigt um bei leisester Berührung vom Wind wieder abgetragen zu werden und wie Sternenstaub im Lichte der Sonnenstrahlen zu tanzen beginnt.
Sehnsüchtig sehe ich mich rückblickend all die Jahre am Fenster stehen, die letzten Eisblumen beschauend und den Frühling herbeisehnend.
Die ersten Sonnenstrahlen die selbst auf dem nur mit einem t-Shirt bedeckten Körper, nach der langen Zeit des Wartens die erste wohlige Wärme erzeugen. Frühling eben. Meine Freundin in Österreich war da ähnlich, wie ein Zwilling. Sie haderte mit ihren 93 Jahren dann mit Gott und der Welt und hätte sich am liebsten auf dem Dachboden vergraben, unter all den vielen Erinnerungen die sich dort verbergen, um im nächsten Frühjahr mit einer ihrer verborgenen Trophäen herabzusteigen. Grade so wie einer der Erzengel, welche besonders hervorgehoben erscheinen, um uns scheinbar an etwas gewaltigem teilhaben zu lassen. Nun Gott hab sie selig, ihrem letzten Winter ist sie entkommen.
Wenn ich an die letzten Jahre denke wird der Rost im Viertel der Winterzeit immer stärker. Die müden Knochen erfreuen sich einzig wenn man ihnen mit besonderem droht. Sowas wie das Überraschungsei des Osterhasen, welches gut für die Sinne, gut für den Magen, die Harmonie, jedoch nicht für die Zähne ist. Scheiß drauf, ich will mein Ei jetzt, nein halt am besten zwei oder…
Na ja nun mal nicht unverschämt werden. Immerhin waren in den letzten drei Jahren auch zwei mal die Stiefel voll. Halt stop, da habe ich jetzt was verwechselt. 😉
Ostern bietet sich ja auch oft an etwas zu unternehmen und so ist man schnell dabei mit dem Finger einmal die Himmelsrichtungen durchzutesten um sich dann für eine zu entscheiden.

Nur nicht drängen oder vorlaut werden, alle Richtungen sind besser, als vor dem heimischen Fenster darauf zu warten, den Frühling beim wachsen zu erwischen.

Dabei war das mit unserem Heike-Engel gar nicht so geplant. Marina kam erst vor jenem Jahreswechsel dazu und fragte eher laut, als jemanden, warum nehmen wir Heike nicht mit nach Wien. Oh ja das wäre doch was und Platz haben wir doch en gros bei 4 Zimmer, wovon drei zum schlafen waren.

Der Vorschlag kam an und jeder Tag hatte plötzlich viele Stunden und ab und zu kam in mir sogar der Gedanke hoch, dass 24/7 Heike vielleicht doch Einwände, da zu enthusiastisch, bringen könnten.

Heute, wissend des frühen Todes von Heike, dessen Nachricht uns schon kurz nach unserem Urlaub erreichte, sehe ich natürlich mit einem anderen Auge auf die Dinge und wünschte mir die Zeit nochmal herbei um meiner kleinen Schwester noch einmal wie damals nahe zu sein.
Was heute bleibt sind die Erinnerungen.

All die Erinnerungen an unser letztes Jahr, die Monate und Tage vor ihrem Tod.

Der letzte Anruf, eine allerletzte Nachricht und das riesengroße Loch, dass der Tod in unsere Herzen riss.

Ja, das war es dann und das war es dann mit nur fünfzig Jahren möchte man hinzufügen, wohlwissend gestorben wird immer und das, oft ohne langes Gezeter.

Der Tod fragt nicht, nein er nimmt. Nimmt uns all das was wir mögen und schert sich dabei auch nicht ob einen grade die Melancholie des Winters oder jene der letzten Herbsttage vereinnahmt.
Es wäre wohl auch noch unpassender wenn der Geselle vorher klopft, um höflich anzufragen, um dann doch seinen Terminkalender zu bevorzugen.

Vielleicht geht er mir ähnlich wie der Winter auf den Geist, denn auch wenn ich noch so viel darüber nachdenke, Berechenbarkeit scheint beiden Gesellen fern. Dem Tod garantiert und dem Frühling nur mit der Folge einer öfter stattfindenden Verspätung.

Am ersten Todestag von Heike stellte sich die Osterfrage nicht. Längst hatte der Zahn der Zeit neues Unheil vom Dach gekehrt und das musste erst einmal verarbeitet werden.
Der Vater verlor irgendwann die komplette Übersicht und als wir dabei waren Abschied von unserer Schwester Heike zu nehmen, flatterte uns der nächste Pflegefall ins Haus. Grade hatten wir das Esszimmer neu eingerichtet. Die Wand zierte eines jener Riesenfotos, von mir geschossen 2009 im Herzen Berlins, da hieß es plötzlich ausräumen und Neueinrichtung.
Es war nicht leicht ein Leben auf zwanzig Quadratmeter zu verstauen, aber es gelang.
Damit war jedoch auch der Weg in eine neue, andere Zukunft unterschrieben. Ein Pakt mit dem, ja mit wem eigentlich. Wahrscheinlich mit dem eigenen Gewissen und obsiegend über das eigene Ego.

Die Tage der Freiheit waren vorerst vorbei und hinzukam…, wer einmal mit Demenz gekämpft hat, dem brauche ich Einzelheiten nicht aufzuwärmen.
Sehnlicher denn je stand ich nun oft an meinen letzten Eisblumen und wartete wie ein kleiner junge auf die ersten Sonnenstrahlen die einem so unverfroren in der Nase kribbeln. Wissend, dass all das nicht viel nützt, nur die Verpflichtungen in ein etwas positiveres Licht setzt und der allgemeinen Stimmung zuträglich erscheint.

Im Jungle der Ämter gab es jedoch auch Lichtblicke und daher auch konnte es am Ende gar nicht schnell und vor allem früh genug klar gemacht werden. Bereits im September drückten wir alle Buchungstasten und waren somit auf der sicheren Seite. Pläne wurden geschmiedet 24/7 oder besser doch 32/7 ?

Nun die Tageszeiten konnten wir nicht verrücken und nicht mal schnelleres Schlafen hätte uns aus einem Tag mehr an Stunden gemixt.
Noch kurz vor Weihnachten schien alles so irrational und fremd zu sein, dass ich mich selbst oft kneifen musste um es zu begreifen. Grade einmal neun Monate nachdem man selbst am Tod vorbeigeschrammt ist, sitzt man plötzlich da und hält eine Postkarte von einem Traum in der Hand. Einem Traum in dem man bald eine Hauptrolle spielt. Unfassbar und nur noch Weihnachten unbeschadet überstehen und auf das verschwinden der Eisblumen warten und dann 24/7 rein ins volle Leben. Alle Werte stehen auf Zündung und selbst die immer und fortwährend launisch und nie zufrieden klingende Ärzte Schar zeigt sich überzeugt.

Alles sitzt und wartet.

Wartet wie auf einem Vulkan, aus dem sich gleich heiße Lava empor ergießt und den Weg in etwas neues formt, etwas gigantisches, etwas einmaliges.
Doch plötzlich, Knecht Ruprecht hat noch nicht einmal seinen Sack geöffnet steht der Kollege wieder vor der Tür.
Jener Kollege, der eben vor der Türe steht wann es ihm passt und nicht wann es denn günstig wäre.
Weihnachten steht an, der kleinste im Kreise der Familie wird uns daran erinnern wollen, dass irgendwie grade heute da wohl doch wer fehlt. Mit feuchten Augen,nach Fassung ringend und die Spur eines Lächelns erhaltend versuchen alle dem fast dreijährigen zu erklären, was der Unterschied zwischen Himmel und Himmel ist. Dass es eben nicht nur da oben sondern eben das ganz spezielle da OBEN ist und scheinbar lernt das Kind schneller damit umzugehen und auch zu begreifen als manch alter Haudegen.
Planungen, oh ja Planungen, nun war doch alles so durchgetaktet und konnte endlich angefangen werden. Wie ein liegengebliebenes Geschenk von Weihnachten kam der Tag immer näher und all das vorher geplante und all das abgesprochene geisterte nun vermehrt im Kopfe herum um in wenigen Tagen, am Ende nur noch wenigen Stunden wahr zu werden.
Am „Ende“, war es natürlich viel Superlative

und am Ende war es auch alles sehr gelungen,

jedoch am Ende, insgesamt einmal mehr auch lehrreich:

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„Pläne sind oft nur Träume der Verständigen, wie töricht ist es dann also sich Pläne für das ganze Leben zu ersinnen, wenn wir noch nicht einmal die Herren unseres Morgen sind.“
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Danke für euer „OHR“…
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Foto/Text JK ©05/05/2016 „Träume“. ©Dubai XXL-Series by JK 2016

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